Die Brennerbande, Teil 87


Die Feldstraßler sammelten sich in der Küche. Die Folterung der letzten Stunde hatte ihre Spuren hinterlassen, auch wenn sie nicht die gefolterten gewesen waren. Sie versuchten sich mit Geschwätz abzulenken.
"Aber wenn Vilets Segen hilft, was tut er denn?"
"Na, dann wird da wohl so eine heilige Kraft um einen rum sein, die [Dämonen] abwehrt."
"Du meinst, was so ein Segen von Pastor Pewald auch tun soll?"
"Hast du dich jemals besonders geschützt von ihm gefühlt?"
"Als ich noch klein war vielleicht."
"Sind wir dann nicht ´n wenig alt, an sowas zu glauben? Ich meine, Walde sagt, dass ne Priesterin einen Segen gegen [Dämonen] hat? Das is‘ doch Grabenschleim!"
"Aber Vilet is‘ doch gar keine Priesterin, Walmo."
"Jaja, weiß schon, Walde: sie ist die tolle Frühlingskönigin. Und was ändert das?"
"Das sie wirklich irgendwie Magie kann."
"Ach, Tiscio, das solltest du aber inzwischen wissen, dass sie keine Magie verwendet."
"Treppen rutschig zu machen und [Dämonen] verschwinden zu lassen is' für mich schon irgendwie Magie."
"Nein Tiscio." Dieser herablassende Ton in Waldes Stimme, jeder einzelne der Jungs hätte sie gerne dafür geschüttelt. "Das is‘ die göttliche Macht."
"Und was is' die göttliche Macht?"
"Na alles halt. Vilet sagt, dass die Frühlingsköniginnen von der göttlichen Macht ausgewählt werden."
"Und dann müssen sie Frühlingskönigin sein?"
"Der Bote kommt und dann können sie es auch nich' machen, wenn se nich wollen."
"Das haste uns doch schon erzählt. Aber was macht Vilet denn dann?"
"Das wisst ihr doch: Sie hilft anderen."
Die Jungs versuchten ihre Gedanken zu sammeln. Waldes Antworten verwirrten sie eher, als dass sie etwas erklärten. Je mehr sie über diese ganze Geschichte mit der Frühlingskönigin nachdachten, desto seltsamer wurde sie. Schließlich stieß Gunnar auf eine der vielen Ungereimtheiten:
"Und dafür wählt diese göttliche Macht jedes Jahr eine Frau aus? Wozu dieser ganze Aufwand, wenn Vilet zwischen zwei Schreinen hockt und mit Leuten redet?"
"Doch nicht nur eine!" Walde lachte sie tatsächlich aus.
"Es gibt mehrere Frühlingsköniginnen?"
„N‘türlich!"
"Und wo sind die?"
"Überall."
"Walde! Gibt es in Xpoch noch eine?"
"Ne, das wär' doch nich' sinnvoll. Jede Frühlingskönigin hat halt ihren Bereich."
"Und wo ist dann die nächste."
"Weiß nich'. Irgendwo halt weiter da." Sie zeigte in eine Richtung, von der die Feldstraßler annahmen, dass dort Warmsyn, die zweitgrößte Stadt des Reiches. lag.
In diesem Moment konnte man förmlich dabei zusehen, wie sich bei ihnen ein bestimmter Gedankengang formte. Sie tauschten Blicke aus bis Walmo schließlich fragte: "Könnt‘ dann nicht eine von denen zum Treffen gehen?"
"Neinneinnein. Jede Frühlingskönigin hat ihre Heimat."
Die Feldstraßler waren sich nicht ganz sicher, was das bedeuten sollte, verstanden jedoch so viel, dass, wenn Walde der Meinung war, ein Ersatz würde ihnen nicht helfen, es vermutlich auch so war.
"Und was is' jetzt mit ihrem Segen? Ich mein, wenn sie das wirklich kann. Wären dann nich' die [Dämonen] ... ich mein' Vilet is' dann doch gefährlich für sie."
"Das macht doch keinen Sinn Tis. Warum sollten sie dann ihre Anhänger töten?"
"Weiß ich doch auch nich'. Aber warum hat se sich gefangen nehmen lassen, Malandro?"
"Vielleicht sollten wir sie fragen?"
"Was meinst du?"
"Deine Mutter geht doch morgen zu ihr."
"Stimmt."
"Die [Dämonen] denken vielleicht dass sie Helfer sind." Die Wörter warf Walde plötzlich ein und die Feldstraßler mussten erst einmal die Zusammenhänge wieder herstellen, während das kleine Mädchen an einer Scheibe Brot aute.
"Die einzigen, die Vilet helfen, sind meine Mutter, meine Geschwister und ich. Die anderen brauchen immer selbst Hilfe."
"Ihr helft doch gar nich'."
"Und was ha'm wir die ganze Zeit gemacht, Walde? Nur rumgehangen?"
"Trotzdem bist‘e kein richtiger Helfer." Sie blickte nicht einmal auf, während sie einen weiteren Bissen nahm. "Nich' mit Segen und so. Vilet wollte keine Helfer."
"Warum nicht", fragte Gunnar, bevor Tiscio noch etwas mehr tun konnte, als nur die Hände zu ballen.
"Hat se nich' gesagt."
"Und was machen wir jetzt?"
"Ich will heute mal wieder bei meinen Eltern nachschauen. Ein wenig schrauben."
"Ich meinte mit Vilet, den [Dämonen] und so, du Rüsterhirn."
"Lass uns mit deiner Mutter sprechen. Dann könn' wir ihr noch sagen, was sie Vilet fragen soll."
"Dann warte ich noch. Kommt nachher irgendwer mit?"

Pinta, Tiscios Mutter, hatte die letzten Tage versucht, sich damit zu beschäftigen, nett zu den beiden Kindern zu sein, die regelmäßig um sie herum blieben und sich ebenfalls langweilten. Es gab nicht viel, was man in den provisorischen Gästezimmern tun konnte. Immerhin hatten sie sich mit Deera angefreundet. Die Haushälterin hatte ihnen ein paar Bücher aus dem Salon stibitzt, aber weder Pinta noch Erif oder Dori waren große Leser. Das Blättern hatte sie vielleicht zwei Stunden beschäftigt. Immerhin war Dori von einigen Bildern fasziniert gewesen, aber irgendwann hatte auch sie das Interesse verloren.
Hinzu kam, dass sie nach all dem, was sie in letzter Zeit gehört hatten, nicht mehr wagten, vor die Tür zu gehen. Selbst wenn diese grauenvolle Idee, dass jemand Jagd auf Vilets Anhänger machte, nicht wahr sein mochte, hatten die Anschläge doch den Effekt, den sie auch auf die meisten Einwohner dieser Stadt hatten: Man wagte sich nicht mehr vor die Tür.
Das war einer der Gründe, warum Pinta dem Besuch im Gefängnis mit gemischten Gefühlen entgegen sah. Sie freute sich darauf Vilet wiederzusehen, hätte dennoch am liebsten gekniffen.
Als die Jungs bei ihr anklopften überwog allerdings die Dankbarkeit, ein wenig Abwechslung zu haben.
"Wir hätten eine Bitte, Frau Canil."
"Was gibt es denn, Malandro."
"Sie gehen doch morgen zu Frau Freifrieder." Für ihre Antwort beschränkte sich auf ein Nicken.
"Könnten sie noch etwas für uns fragen?"
"Ja, Mutter. Es wäre wirklich wichtig."
"Geht es um eure Nachforschungen?"
"Ja, Frau Canil."
"Na dann legt mal los. Ich hoffe, ich kann mir das merken."
"Bestimmt Mutter, es sind auch nur vier Fragen."
"Und wie lauten sie?"
"Erstens: Warum hat sie sich verhaften lassen?"
"Das kann ich mir bestimmt merken, denn das möchte ich auch zu gerne wissen."
"Dann zweitens: Können wir den Winterhirten verhindern?"
"Das ist der, der sie herausholt, wenn sie nicht rechtzeitig da ist?"
"Ja, Mutter."
"Wäre gut, wenn man ihn verhindern könnte."
"Als drittes: weiß sie vielleicht wer sie und die ganzen anderen umbringen will? Und zuletzt kannst du sie noch fragen, warum sie keine Helfer gesegnet hat."
"Helfer? Aber wir sind doch ihre Helfer?" Sie machte eine umfassende Bewegung, die alle miteinzuschließen schien.
"Walde hat da was gesagt, dass die Helfer noch irgendwie besonders sind."
"Gut, kann ich fragen. Meint ihr, dass euch das weiterhelfen wird?"
"Bestimmt Mutter."
"Wir hoffen es zumindest, Frau Canil."

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04